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Ich bin jedes Jahr ein paar Wochen als Hüttenwart auf einer Alp. Ich koche, putze, flicke und erledige alles, was sonst anfällt. Bezahlt werde ich nicht dafür. An Wochenenden ist es wirklich streng, man arbeitet von morgen früh bis abends spät. Unter der Woche oder wenn es regnet hat man mehr Zeit. Es kommen ganz unterschiedliche Leute vorbei. Ein Mann, der auf einer siebentägigen Hüttentour die Trennung von seiner Freundin verarbeitet, ein Sohn, der mit seinem 80-jährigen Vater eine Reise macht. Oder Gruppen, die ein Bier nach dem anderen trinken.

Als ich 64 wurde, habe ich gesagt, ich mag nicht mehr so viel schuften im Büro und ich habe die Arbeit Stück für Stück übergeben. Einmal übernachtete ich mit einem Freund in einer Berghütte. Es gab schrecklich verkochte Hörnli und nicht recht gebrätelte Cervelat. Da haben wir uns gesagt: das können wir besser, irgendwann machen wir das selbst.

Ich gehe fast immer zusammen mit jemandem aus der Familie oder mit Freunden. Man lernt Leute von einer anderen Seite kennen, wenn man so intensiv zusammenarbeitet, gerade auch gute Freunde und Familienmitglieder. Im Alltag findet man dafür einfach nicht die Zeit. Einmal war ich mit meinem Zwillingsbruder dort, den ich vorher lange nicht mehr gesehen hatte. Es war schön, aber nicht einfach, wie ein Spiegelbild. Ich sah, wie uralt ich selbst geworden bin, als ich gemerkt habe, wie langsam er ist. Man fühlt sich ja immer jung. Mit meinem Sohn war auch mal fünf Tage da, er war da 36. Da habe ich gestaunt, wie beweglich und flexibel er ist.

Dieses Jahr ist wegen Corona etwas schwieriger. Viele Freiwillige sind eben Pensionierte. Es ist unklar, wie man mit der Risikogruppe umgeht. Alte sind ja nicht ansteckender, nur das Risiko einer schweren Erkrankung ist höher. Aber das verwechseln die Leute manchmal und es hat lustige Auswirkungen. Wenn sie mir im Töbeli entgegenkommen und einen Riesenbogen machen, fast in den Bach stürzen, weil da ein besonders ansteckender Alter kommt.

Ist die Zeit auf der Alp für mich nun Ferien oder Arbeit? Irgendetwas dazwischen.

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Die meisten Geschichten entwickeln sich in einem Gespräch und wir schreiben sie auf. Manche Geschichten werden uns zugeschickt, auf Einladung oder spontan. Bislang haben wir die Geschichten nicht systematisch gesucht – sie ergeben sich durch spontane Kontakte, Empfehlungen und Zufälle.

Die Geschichten widerspiegeln nicht immer unsere Meinung; und die Geschichtenerzählerïnnen sind wohl auch nicht immer einer Meinung.

Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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