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Der erste Abfall, der überhaupt je produziert wurde, entstand beim Big Bang. Wadadumm und wumm hat’s gemacht und seither fliegen die Brocken durchs All. Das fasziniert mich unglaublich, die Entstehung des Universums bis hin zur Entstehung der Erde und des Lebens. Es ist ein Wunder, und nun lebst du dein kleines Leben und willst dem einen Sinn geben. Als Teil der Herde willst du nützlich sein und eine Tätigkeit wählen, die dich erfüllt. Mehr kannst du nicht wollen. Eigentlich bin in ja pensioniert, schneide die Hecke, lese Äpfel vom Boden auf, gehe auf den Markt und kaufe neue Pfefferminzpflanzen, nachdem sich die lieben Schnecken an meinen gütlich getan haben. Und dazwischen schreibe ich. Ich bin Geologe und habe mich das Leben lang mit Abfall beschäftigt.

Jetzt bin ich an einem Artikel, der mir Bauchweh macht, über ein Sonderabfall-Endlager in Süddeutschland, das derzeit erweitert wird. Viele der Abfälle, zum Beispiel Quecksilber oder Arsen, sind bekannterweise hochgradig toxisch. Früher hat man die in Oberflächendeponien gelagert. Dann kam es zu Vergiftungen und so beschloss man, einen Stock tiefer zu gehen, 200 bis 800 Meter in den Boden. Das ist Steinzeit, aber Entschuldigung, ich sollte die damaligen Menschen nicht beleidigen. Man will also unsere Industrieabfälle in einem alten Salzbergwerk verbuddeln, Dutzende von Millionen Kubikmeter an diesem Standort. Die Konsequenzen werden vielleicht erst in hundert oder zwei-, dreihundert Jahren oder später sichtbar. Irgendwann kommt das Wasser und dann werden bis einige Prozent der Stoffe ausgewaschen und das reicht, um das Grundwasser für tausende oder zehntausende von Jahren zu kontaminieren. Es ist nicht mehr nutzbar. Das widerspricht dem Grundgedanken der Nachhaltigkeit. Heute sagen die Betreiber «überhaupt kein Problem, das passiert niemals». Die Wahrnehmung der Risiken wird durch den langen Zeitraum verdünnt. Aber du weisst ja nicht, wie die Erde sich entwickelt, wie die künftigen Generationen leben und wirtschaften wollen, wie sie den Untergrund nutzen wollen. Als Mieter packst du ja auch nicht deinen Abfall unter die Bodenbretter und der Nachmieter kann dann schauen, wo er bleibt. Das ist doch keine Haltung. Richtig wäre, dass man langfristig die Weichen so stellt, dass man solche Abfälle vermeidet oder sonst so behandelt, dass die Toxizität massiv reduziert wird. Man sollte dem Planeten Sorge tragen und unsere Technik sollte dem dienen.

Ich prüfe sehr selbstkritisch, wofür ich stehe. Ich bin kein Ideologe, stelle alles immer wieder in Frage. Aber wo unsere Gesellschaft auf dem Irrweg ist, musst du den Finger draufhalten. Das habe ich immer klar und immer anständig gesagt. Am Anfang versuchen dich Interessenvertreter zu zertrampeln und zu diskreditieren. Wenn es ihnen nicht gelingt und du durchhältst, wirst du stärker. Interessant ist es auch, was Gegner schon über mich gesagt haben: Der Marcos als solcher ist ein patenter Typ, er hat nur die falschen Ideen. 

Ich lese gerne, was andere Menschen auf ihrem Lebensweg gemacht haben, sehe, dass viele das Bedürfnis haben, sich zu verbinden, mit anderen Menschen und auch mit der Natur. Das macht dich als Menschen, als der du Teil der Natur bist, glücklich. In dir selber drin stecken 3.3 Milliarden Jahre Evolution. Diese Verbundenheit mit der Geschichte und den gescheiten Menschen macht mich zufrieden und glücklich. Es gibt mir den Boden, auf dem ich die Schwierigkeiten aushalte, denen ich begegne, die Umweltzerstörung und das Boshafte auf der Welt, und meinen kleinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten kann. Ich schaue aus dem Fenster auf das schön bemalte Vogelhäuschen meiner Enkelin. Ich sehe die Spatzen und Meisen. Nachher gehe ich mit meiner Partnerin in die Pilze. Ich liebe den Abfall vom Big Bang: Schau in den Himmel und du siehst die Sterne, schau auf den Boden und du siehst die Erde.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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