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Die Eingangstreppe war mal ein Stein am Bahnhof. Der Badezimmerspiegel, das Tischservice und eine Leuchtstoffröhre sind aus einem Hotel. Die Kellertüren aus einem Durchgangsheim, die Ziegel vom Dach der alten Scheune vis-a-vis, der Kachelofen aus einem Chalet, Fenster, Wasserhähnen oder Ofentürchen aus anderen Häusern. Die Steinwolle zur Isolierung der Zwischenwände aus einem Asylheim. Der Tisch war mal Sperrgut an der Strasse, die Bank gefunden in einer Scheune, von einer alten Sonntagskutsche. Fassade und Fensterbank sind aus Holz aus unserem eigenen Wald. Ich weiss von jedem Stück, wo es herkommt.

Der Plan war ein Einmannhaus, eine Baracke, möglichst günstig. Dann kam meine Frau in die Quere und damit ein anderes Budget. Aber den ursprünglichen Plan habe ich weiterverfolgt, ein Haus zu bauen mit Material aus Abbruchhäusern. Beim Vorbeifahren sieht man, wenn sie beginnen, ein Haus abzubrechen. Ich wartete, bis der Abbrüchler dort war und fragte, kann ich das oder das haben. Die Leute hatten Freude, waren froh, dass sie die Dinge nicht entsorgen mussten. Zehn Jahre lang habe ich Materialien gesammelt und in meiner Werkstatt, dem alten Schweinestall, gestapelt. Wir haben alle Stücke sorgfältig ausgesucht. Wir wollten keine Musterzentrale, nichts Zusammengewürfeltes, sondern etwas, das zusammenpasst. Zu meinem 50. Geburtstag hat mir mein Schwager dann das Haus gezeichnet, ganz am Schluss, um das Material herum. Wir mussten ja zuerst wissen, wie gross die Türen oder Fenster sind.

Zeitmässig hat der Bau jeden Rahmen gesprengt, zweieinhalb Jahre lang habe ich gebaut. Aber dafür hatte ich nie einen Hänger. Ich habe fast alles selbst gebaut, nur für die heiklen Dinge hatte ich Baumeister, Sanitär, Stromer und Holzbauer. Alle waren aus dem Dorf. Wenn ich sie gefragt habe: muss ich das koordinieren, meinten sie, neinein, das machen wir zusammen beim Znüni. Sie waren nicht unter Druck, wussten, dass sie gute und sorgfältige Arbeit machen durften. Wenn sie auf anderen Baustellen eine Lücke hatten, haben sie bei mir weitergemacht. Man hört ja Geschichten: ein Haus baust du nur einmal, was für ein Stress. Aber wir hatten nur gute Stimmung auf dem Bau, alle fanden das Projekt lässig. Wir finden, diese Atmosphäre spürt man auch heute im fertigen Haus.

Bei der Heizung war uns klar, wir haben einen eigenen Wald, also heizen wir mit dem eigenen Holz. Die Regenwassertanks im Keller geben Wasser für Aussenhähne, WC und zum Waschen. So braucht man viel weniger Waschmittel, weil Regenwasser nicht kalkhaltig ist. Dafür braucht man eine Waschmaschine mit zwei Anschlüssen, um die Seife am Schluss mit Leitungswasser auswaschen zu können. Eine solche Profi-Waschmaschine haben wir in einem Hotelabbruch gefunden. Für den Strom hatte ich schon Jahre zuvor vorsorglich Leitungen vom Dach meiner Werkstatt zum Haus verlegt. Damals hiess es noch, Solarpanels gehen nicht, wegen dem Ortsbild. Später haben sie gesagt, da kann man jetzt eigentlich wirklich nichts mehr dagegen haben. Wir sind jetzt zu 97% Selbstversorger mit Solarstrom.

Weil wir so lange bauten, war es zu teuer, ein Metallgerüst zu mieten. Ich habe deshalb selbst eines gebaut. Aus den Planken des Gerüsts habe ich am Schluss unser Bett gezimmert. Handwerker war ich immer schon, das ist mein Leben. Schon als Bub habe ich immer Hütten gebaut. Und als Betriebsmechaniker musste ich immer improvisieren. Wenn du kein Ersatzteil hast, machst du eins mit dem Material, das du hast, das ist sehr kreativ. Für den Hausbau musste ich mich immer in einen neuen Bereich einarbeiten, wie verlegt man Plättli, wie deckt man ein Dach, wie verkabelt man ein Haus. Das war unglaublich spannend, ich habe häufig die Zeit vergessen, musste mich fast selbst bremsen, wenn ich wieder einmal den ganzen Tag auf dem Bau verbracht hatte.

An meinem Geburtstag sind wir das erste Mal im Haus aufgewacht. Seither haben wir einen Smile im Gesicht. Wir leben im besten Haus der Welt, dem genialsten, das man sich vorstellen kann. Übrigens, da wo du draufstehst, das ist der Grabstein meiner Grossmutter.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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