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Ich war im Zug zwischen Rappi und Zürich, am Handy. Irgendwann habe ich aus dem nichts aufgeblickt, schaue aus dem Fenster und sehe diesen Bauernhof und Menschen am Arbeiten. Sonst siehst du in der Landwirtschaft ja einfach einen auf dem Traktor. Aber die sind da zu fünft auf dem Boden gekniet, das hat so idyllisch ausgesehen, fast schon altertümlich, es hat mich richtig gepackt. Ich schaute sofort auf dem Handy nach, wo sich der Hof befindet und fand raus, dass sie freiwillige Helfer suchen. Bereits vor den grossen Lockdowns hatte ich meinen Job als Koch gekündigt. Eigentlich wollte ich auf den Jakobsweg. Ich dachte, das wäre mal etwas anderes als Küche, Zeit für mich, zu studieren, wo ich hin will. Aber das fiel halt ins Wasser. Und so landete ich eben auf dem Permakulturhof Auenhof.

Schon der erste Tag war lustig. Um 10 Uhr kam ich an, mit Wanderschuhen und allem ausgerüstet, niemand anders war hier ausser Markus, der Gründer. Ich bin ein bisschen rumgelaufen und wir haben zusammen geredet.

Gegen halb 12 meinte er: “Jetzt weisst du ja alles.”
Ich fragte: “Ja, was kann ich denn jetzt machen?”
Er verwundert: “Ah, der will ja wirklich arbeiten.”
Ich verwundert: “Ja klar.”

Dann habe ich ein paar Stunden Brennnesseln gerodet. Ich konnte das genau so lange machen, wie ich wollte. Das ist meine Vorstellung von Idylle, mit den Händen zu arbeiten, alleine, ohne Musik. Am Anfang war das irgendwie komisch, aber mittlerweile ist es einfach schön, alleine mit seinen Gedanken zu sein und etwas zu machen. Meine Hauptaufgaben auf dem Hof sind Bauen und Verarbeitung, Sachen einlegen, Gonfi oder Sirup machen, am Mittag kochen, Werkzeuge flicken.

Mein Vater ist Schreiner und ich wollte eigentlich immer auch Schreiner werden, aber es hat mir beim Schnuppern dann doch nicht gefallen. Aber hier kann ich meine Schreinerfantasien verwirklichen, ich bin fast schon Werkstattchef. Es ist ein bisschen, wie wenn ich meine Kindheit Revue passieren lassen würde. Ich habe auch mit einer Mostpresse selbst Most gepresst, Minze und Traube dazugetan, so etwas wollte ich auch schon immer mal machen.

Früher hatte ich nicht viel mit Pflanzen zu tun, nur ab und zu half ich meiner Mutter in ihrem grossen Garten. Aber jetzt habe ich so viel Neues gelernt, dass manchmal sie mich um Rat fragt. Für den Winter habe ich ihr eine Gründüngung gemischt. Man sät Sachen, die den Boden bedecken, damit die Nährstoffe im Winter im Boden bleiben, damit er nicht brach liegt. Sie hat sehr Freude daran.

Das Kochen als mein Beruf, die Verbindung zu meiner Mutter mit dem Garten, zu meinem Vater mit dem Schreinern, …das hier ist zwar nicht der Jakobsweg, aber doch eine Selbstfindungsphase, nach der ich einfach nicht gesucht habe. Alles ist auf mich zugekommen

Auf dem Hof halten wir Hühner. Hühner haben eine Hackordnung. Die ältesten zwei wurden immer von den jüngeren gepickt, deshalb wollten wir sie separat halten. Wir hatten noch einen alten Veloanhänger, aus dem könnte man doch ein bewegliches Haus machen, war die Idee. Die Hühner wohnen nämlich immer gerade dort, wo es Düngung braucht. Ich habe einen Plan gezeichnet, mit Türen, Decken und Fenster. Nebenbei lief Yellow Submarine von den Beatles und plötzlich hatte ich die Vision, eine Chicken Submarine für die alten geplagten Hühner zu machen. Wir haben gelbe Farben aufgetrieben und anstelle eines Fensters habe ich dann fünf kleine runde Fenster gemacht. Einen Pneu des Anhängers mussten wir noch ersetzen, der war so alt, dass es das Modell eigentlich nicht mehr gab. Wir haben rumtelefoniert und tatsächlich noch einen Velomech gefunden, der einen für uns auftreiben konnte. Als wir noch die letzten Arbeiten an der Chicken Submarine erledigten, gesellten sich mehr und mehr Leute um uns herum und schauten zu. Einer liess Musik laufen und wir sangen alle zusammen, we all live in a yellow submarine. Das war ein mega cooler Moment. Dann führten wir das Häuschen den zwei alten Hühnern vor. Sie sind sofort reingeflogen und hatten grosse Freude dran.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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