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Ich bin ein Forstmann, habe an der ETH studiert. Die Schweiz war ja in der Gründerzeit der Eisenbahn weitgehend entwaldet und hatte deshalb grosse Problemen mit Steinschlag, Lawinen, Murgängen, Überschwemmungen. Gigantische Aufforstungsprojekte über weit mehr als ein Jahrhundert halfen dagegen. Mein Gebirgspraktikum machte ich beim Forstdienst der SBB, teilweise in der Leventina. Ich war mit der Motorsäge unterwegs, in so steilen Gebieten, dass man alles anbinden muss, sich selber, den Benzinkanister, die Säge. Ich bekam grossen Respekt vor den Leuten, die das über Jahre machen.

Die Liebe zum Wald ist während meiner langjährigen Arbeit im Verband für Holzenergie geblieben. Jahrelang habe ich versucht, eine Waldparzelle zu kaufen. Es ist krass: Wer Wald besitzt, sitzt darauf wie die Glucke auf dem Ei. Wald hast du im Herz und im Bauch, es ist nicht rational. Mit Hilfe des Zufalls konnte ich dann doch eine Parzelle erwerben, ich bin jetzt Kleinwaldbesitzer. Zu meinem Wald fahre ich mit dem Velo oder mit meinem Oldtimer-Traktor. Einmal im Jahr fälle ich ein, zwei Bäume. Mein Försterkollege hilft, der fällt die schiefen, grösseren Bäume, die einfachen darf ich. Die ein Meter langen Rugel transportiere ich nach Hause, halbiere und spalte sie, das mache ich alles selber und von Hand. Im Garten hat es einen Dreijahresvorrat. Wir fällen immer etwas mehr als nötig und den Überschuss bekommt der Kollege für seine Arbeit. Naturallohn, diese Art der Wirtschaft fasziniert mich.

Mit dem Holz heize ich mein Haus. Ich denke viel über Naturalwirtschaft und Selbstversorgung nach, möchte auch Nahrungsmittel und Wein selber produzieren. Ich wollte ein Grundstück kaufen und ging aufs Grundbuchamt, aber oh Schreck: Die Parzellen unterstanden dem landwirtschaftlichen Bodenrecht, konnten also eigentlich nur durch Bauern erworben werden. Ich wurde aufs Landwirtschaftsamt geschickt. Dort argumentierte ich, dass ich Forstmann sei und es ja sogar ein Stücklein Wald habe. Ich durfte daraufhin tatsächlich ein Bewirtschaftungskonzept einreichen. Und ja, es es hat geklappt und ich bin jetzt Nebenerwerbsbauer.

Als erstes pflanzte ich auf dem Wiesland ein paar Edelkastanien an, ich bin damit sozusagen ein Marroni-Pionier. Marroni sind lagerbar und sind insbesondere als Schweizer Produkt sehr gefragt. Die Preise sind gut, das gibt dann hoffentlich einen schönen Zustupf. Im ebenen Teil ist der Boden sehr fruchtbar, dort möchte ich vielleicht violette Spargeln kultivieren. Wenn ich von meinen zehn Ideen die Hälfte realisieren kann, ist es ein Erfolg. Es ist schon viel Arbeit. Aber wenn ich den Leuten erzähle, was ich machen willst, sagen viele: Ich komme dann gerne zur Wümmet oder Marroniernte. Und die reden nicht nur, die machen das. Und wenn es dann total anders kommt, mache ich einfach Bio-Heu, dafür gibt es auch Interessenten.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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