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Mehr über die in der Geschichte erwähnte Genossenschaft El Comedor findet ihr in den Geschichten 53, 49 und 35.

In unserer Wohngenossenschaft beziehen viele Haushalte feine und umweltfreundliche Lebensmittel der Food-Genossenschaft El Comedor. Da aber nur alle drei Monate geliefert wird, muss man grössere Mengen lagern können. Gewisse Haushalte konnten das nicht. Ein paar von uns hatten deshalb die Idee, mit den Comedor-Produkten einen Selbstbedienungsladen zu machen. Wir nannten ihn den Speichär.

Alles, was wir für die Umsetzung brauchten, war ein Raum und ein wenig Startkapital. Wir hatten das Glück, dass bei unserer Wohngenossenschaft Ressourcen für gemeinnützige Projekte vorhanden sind, zum Beispiel für Coworking-Spaces, Yoga, oder ein Mini-Gym. Wir brauchten nur eine sehr kleine Anfangsinvestition für Gestelle, die Waage, Papier und Putzmittel. Und wir bekamen den Keller, der vorhin leer gestanden hatte, als Lagerraum.

Am Anfang fragten wir uns schon: interessiert das überhaupt jemand oder nicht…? Und dann kamen bereits zum Anfangsevent zwanzig, dreissig Leute. Wir haben schon viel mehr Mitglieder erreicht als erwartet und die Verkaufsmenge ist exponentiell gestiegen. Es ist halt wirklich praktisch, wenn man nicht nach der Arbeit auf dem Heimweg in den Laden gehen muss. Man ist zuhause, nimmt ein paar Taschen, leere Gläser und Container mit und geht schnell in den Speichär, auch am Sonntag oder spätabends.

Der Speichär hat immer offen. Zum Eintreten braucht man lediglich einen Türcode. Nimmt man ein Produkt, klebt man einen Kleber auf eine Produktliste. Wir übertragen das dann in ein Excel-Sheet, das automatisch berechnet, wer was und wieviel bestellt hat und ob man noch genügend Guthaben hat, um den nächsten Türcode zu bekommen. Programmiert hat das alles ein Informatiker, der bei uns mitmacht.

Den Speichär betreiben wir auf Vertrauensbasis, wir vertrauen darauf, dass die Leute die Kleber auch hinkleben. Das funktioniert gut, weil wir am gleichen Ort wohnen, uns kennen. Der Speichär verbindet, er ist etwas, das allen gehört. Bei den anonymen Selfcheckoutkassen beim Detailhändler vergessen die Leute vielleicht eher, etwas zu bezahlen…

Weil wir keine Personal- und Raumkosten haben, können wir die Produkte fast zum Einkaufspreis anbieten. Wir haben lediglich eine kleine Marge, weil wir ab und zu Verluste haben, wenn Dinge schlecht werden oder die Säcke ungenau abgewogen sind. Viele Leute haben nicht so viel Geld und im Bioladen einkaufen ist manchmal zu teuer. Bei uns kann man auch mit einem Studentenbudget einkaufen. Viele Leute konzentrieren sich bei uns auch weniger auf den Preis als in anderen Läden. Man kann eben vertrauen, dass es gute Produkte von guten Produzenten zu einem fairen Preis sind.

Und ja, alle helfen mit. Aber ein grosser Aufwand ist das nicht und das war uns auch wichtig. Man kann zum Beispiel beim Posten gleich noch den Raum staubsagen. Pensionierte helfen eher unter der Woche, wenn die Produkte angeliefert werden. Wir finden immer einen Weg, es gut aufzuteilen.

Wir sind relativ klein und erreichen noch nicht so viele Leute. Vielleicht können wir einmal einen grösseren Raum mieten und noch mehr Produkte anbieten. Aber es kann gut sein, dass das System ab einer bestimmten Grösse nicht mehr so gut funktioniert. Cool wäre es, wenn man uns kopieren würde. 

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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